Manchmal schreibt der Sport Geschichten, die sind so verrückt, dass sie selbst Hollywood zu kitschig wären. Der rasante Aufstieg des Basketball-Profis Jeremy Lin ist eine solche Geschichte.
Sie kennen Dirk Nowitzki, sie kennen Kobe Bryant und möglicherweise noch LeBron James aus der NBA, aber kennen Sie auch Jeremy Lin? Eher unwahrscheinlich, denn bis vor einer Woche kannten den 1,91 Meter großen Amerikaner mit taiwanesischen Eltern nicht mal die eingefleischtetsten Basketball-Fans. Was soll man sagen? Mittlerweile huldigt ihm das Publikum im New Yorker Madison Square Garden mit "MVP"-Rufen
Es ist eine dieser Underdog Storys, die sie so lieben in den USA: Mit fünf beeindruckenden Auftritten innerhalb einer Woche hat sich Jeremy Lin von den New York Knicks in den Fokus der Berichterstattung gespielt und wird bereits jetzt als neue Sensation gefeiert.
Von der D-League in die Starting-Five
Doch fast wäre es nie soweit gekommen. Bis vor einigen Tagen fristete Lin noch ein Schattendasein in der D-League beim Reserveteam (auch "Farmteam" genannt) der New York Knicks. Nur aufgrund der Ausfälle von Amare Stoudemire (Trauerfall in der Familie) und Carmelo Anthony (Leistenzerrung) und dem fehlenden Vertauen in die anderen Point Guards war Lin überhaupt ins erste Team gerutscht.
Beim 99:92 Sieg gegen die New Jersey Nets stand er erstmals in dieser Saison auf dem Feld und steuerte bei seinem Debüt starke 25 Punkte, fünf Rebounds und sieben Assists bei. Der Start einer großartigen Woche für Lin und die Knicks. Mit 27 Punkten im Schnitt, darunter eine 38-Punkte-Galavorstellung gegen die Los Angeles Lakers, führte Lin New York fast im Alleingang zu einer Serie von fünf Siegen. Die Knicks verbesserten dadurch ihre Bilanz auf 13 Siege bei 15 Niederlagen und haben wieder den letzten Playoff-Rang im Osten erobert.
Vermutlich rettete Lin damit auch seinem Coach Mike D'Antoni den Job. Dieser zeigt sich gegenüber ESPN beeindruckt: "Ich habe so etwas noch nie gesehen. Es passiert nicht oft, dass ein Spieler vier überragende Spiele spielt und niemand weiß wer er ist. Das ist schwer zu schaffen."
Beim kritischen New Yorker Publikum ist Lin bereits jetzt ein Held. Fast alleine zeichnet er sich damit verantwortlich für den Stimmungsumschwung bei den mit hohen Erwartungen in die Saison gestarteten Knicks. "Linsanity" wie er in der Presse getauft wurde bleibt bei all dem Rummel um seine Person jedoch bescheiden: "Das ist ein Verdienst des Teams, das sage ich schon die ganze Zeit. Wir sind ein Team und deshalb macht es so viel Spaß, mit den Jungs zu spielen."
Erfolgreichster Debütant seit 1976
Dabei hätte Lin allen Grund durchzudrehen. Seit der Zusammenlegung der ABA und der NBA im Jahr 1976 schaffte es kein Spieler, derart viele Punkte in seinen ersten drei Einsätzen zu erzielen (89). Neben seinen herausragenden Scoring Fähigkeiten schafft er es auch immer wieder, seine Mitspieler gekonnt in Szene zu setzen, wovon vor allem Center Tyson Chandler enorm profitiert. NBA-Legende Magic Johnson vergleicht Lin bereits jetzt mit All-Star Point Guard Steve Nash.
Doch wer ist eigentlich dieser Jeremy Lin und warum hatte ihn bis vor wenigen Tagen niemand auf dem Schirm? Noch vor der Saison standen die Zeichen für Lin wesentlich schlechter. Weder die Golden State Warriors noch die Houston Rockets wollten ihn nach dem Trainingscamp verpflichten.
Aber Lin war schon immer ein Kämpfer. Nachdem er sich erfolglos um ein Stipendium beworben hatte, beschloss er nach Harvard zu gehen um dort ein Wirtschaftsstudium zu absolvieren. In Harvard etablierte er sich schnell als Kapitän des Basketballteams und als einer der besten Spieler seines Jahrgangs. In seinem Abschlussjahr wurde Lin trotzdem von keinem NBA-Team gedraftet und versuchte sich stattdessen in der Summer-League bei den Dallas Mavericks, immerhin aktueller NBA-Champion. Trotz einiger ansprechender Leistungen reichte es auch hier nicht zum Durchbruch.
Lins bescheidenes Ziel vor der aktuellen Saison war es, überhaupt unter die ersten zehn Spieler eines NBA-Teams zu kommen. Über dieses Ziel ist er mittlerweile in beeindruckender Manier hinaus geschossen.
"Linsanity" auf dem Court, Familienmensch privat
Privat ist Lin trotz des plötzlichen Erfolges bodenständig geblieben. Derzeit lebt er mit seinem jüngeren Bruder Joseph zusammen in einer Wohnung in New York. An seinem spielfreien Sonntag besuchte Lin mit seiner Familie ein Spiel seines Bruders, der ebenfalls als Point Guard für das New Yorker Hamilton College aktiv ist. Dabei scheint ihm der Trubel um seine Person fast unangenehm zu sein.
Ob das Märchen um "Linsanity" in den nächsten Tagen und Wochen weitergeht bleibt abzuwarten. Vor allem wenn Carmelo Anthony ins Team zurückkehrt, wird sich zeigen, ob Lin die Eindrücke der vergangenen Woche bestätigen kann, oder ob er wieder genauso schnell in der Versenkung verschwindet, wie er gekommen ist. Zu wünschen wäre dem sympathischen Senkrechtstarter die Fortsetzung seiner Bilderbuchgeschichte allemal. Bereits am Dienstag gegen Toronto könnte es für die Knicks wieder heißen: "All-Lin!"
Lin-Mania in den USA
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NBA
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