Im März spielen alle US-Amerikaner verrückt. „March Madness“ nennen sie diesen kollektiven Ausnahmezustand, wenn die College-Meisterschaften der Basketballer die Nation in Atem halten.
Die Amerikaner sind offen für Fremde. Sie können gut zwischen sich und dem Rest der Menschheit unterscheiden, vielleicht deshalb, weil der Rest der Menschheit ein bisschen leiser auftritt als sie. Und wer nicht zu ihnen zählt, den fragen die Amerikaner gern: „Where are you from?“ Man hört das an der Supermarktkasse, im Baseballstadion oder am Kneipentresen, und sagt man dann „Germany“, dann freuen sich die Amerikaner, denn zu Germany fällt ihnen immer etwas ein. „Ah!“ rufen sie, „Hitler!“ Oder: „Dürfen Ostdeutsche immer noch nicht reisen?“ Oder: „Der Urgroßvater meines Ururgroßvaters kam auch aus Deutschland!“ Oder: „Ich habe eine Freundin, die hat eine Cousine, deren Ex-Freund war in Deutschland. In Wien, kennst du das?“ Gespräche mit Amerikanern können recht komisch sein.
Nur nicht im März, denn im März fallen die Gespräche aus: Die Amerikaner sind in diesen Wochen ganz bei sich, sie kennen nur ein Thema – „March Madness“! Und welcher Fremde kann da schon mitreden? Die „March Madness“ zieht sich durch den März und bis in den April: Jedes Jahr um diese Zeit spielen die 64 besten amerikanischen College-Mannschaften im guten, alten, einfachen K.o.-System ihre Meisterschaft aus. Und wie immer um diese Zeit spielt jetzt wieder das Land verrückt.
An den Flughäfen sind die Wartehallen leer, da sich die Passagiere in den Bars aneinander quetschen und auf Bildschirme starren, auf denen CBS läuft – der Sender, der „March Madness“ überträgt. Man sieht im amerikanischen März nichts mehr als junge Männer, die über ein Basketball-Feld turnen, in Hosen, die so groß sind, dass sie darin zelten könnten. Es ist ein archaisches Turnier, so wie der DFB-Pokal gern wäre: hitzig, gnadenlos, ohne die in Champions-Ligen und Playoff-Serien längst übliche Doppel- und Dreifach-Absicherung. Wer gewinnt, kommt weiter, wer verliert, geht nach Hause. Fast alle Spiele werden in den letzten Sekunden entschieden, und das Ganze ist so leidenschaftlich, weil 18- oder 20-Jährige um die Chance ihres Lebens spielen: den schnellen Ruhm, die großen Verträge.
Ringen um Wall
Denn einen gibt es immer, der von hier aus in der NBA landet, der Profiliga, und diesmal soll das John Wall sein, sprunggewaltiger Aufbauspieler der University of Kentucky, der so „großartig ist“, wie etwa LeBron James sagt, dass die NBA-Teams sich im Sommer um Wall reißen werden. Was dessen Studenten-Portemonnaie sicher freuen würde, denn Gagen sind verboten im College-Sport. Das hindert aber nur die Spieler am Gelderwerb: Trainer und Scouts verdienen bestens, die großen Universitäten schließen Millionenverträge mit den großen Ausrüstern ab, und CBS und die National Collegiate Athletic Association (NCAA) wissen auch genau, auf welcher Goldgrube sie da hocken.
„March Madness“ beginnt mit vier regionalen Wettbewerben, bei denen die einzelnen Divisionen – der Osten, der Süden, der Westen und der Mittlere Westen – ihren Champion ausspielen. Am Ende treffen sich die vier Champions zum Final-Four-Turnier, und das findet diesmal in Indianapolis statt, vom 3. April bis 5. April: Im ersten Halbfinale am Samstag treffen die West Viginia University und die Duke University aus North Carolina aufeinander. Beide zählten zu den Favoriten, anders als die Michigan State University und die Butler University aus Indiana, die sich im zweiten Halbfinale begegnen und bisher als Underdogs galten.
Gewettet wird auf Duke, gehofft auf Butler: Die Universität hat in Indianapolis nicht nur ein Heimspiel, sie hat zum ersten Mal in ihrer Geschichte ein Final-Four-Turnier erreicht. Vor allem aber zeigt Butler den schönsten Basketball – als Team. Da ergänzen sich schwarze Kerle mit muskelbepackten, tätowierten Oberarmen und weiße Kerlchen mit blassen Ärmchen, denen immer der richtige Distanzwurf einfällt.
Und dann ist da noch Brad Stevens, der Trainer von Butler. Stevens ist 33 Jahre alt und sieht so smart aus wie die Jungs aus Barack Obamas Wahlkampfteam. Er wirkt irrsinnig nett und kameradschaftlich, Stevens feuert seine Spieler an und ist bei ihren Kindergesten immer mittendrin, den „chest bumps“ etwa: Wenn sich alle nach einem Sieg anspringen, Brust gegen Brust, springt keiner so hoch wie Stevens.
Ein Land spielt verrückt
Labels :
NCAA
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
0 commentaires:
Kommentar veröffentlichen